Entwicklung des Carillons

Das Carillon wurde als Musikinstrument erstmals im Jahre 1510 erwähnt. Die ersten Ursprünge liegen allerdings bereits im 14. Jahrhundert im Aufkommen der Turmuhren. Um zu verhindern, dass der Stundenschlag der Turmuhren überhört wurde, wurden Vorschläge zur Ankündigung dieses Stundenschlags eingeführt. Mit der Zeit bürgerten sich 4 solche Vorschläge ein. Vom französischen Wort quatre (= vier) leitete sich schließlich das Wort Carillon ab.

Populär wurden Carillons erstmals Mitte des 17. Jahrhunderts: die Glockengießerei der Gebr. Hemony aus dem niederländischen Zutphen, später Amsterdam, war als erste Gießerei in der Lage, wirklich sauber gestimmte Carillons herzustellen. Eine zweite Blütezeit, die bis heute anhält, erfuhr das Carillon durch den berühmten Pionier Jef Denyn aus Mechelen/Belgien ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Jef Denyn machte sich besonders um die Entwicklung der Instrumententechnik verdient, die eine virtuose Spielweise, wie wir sie heute kennen, erst möglich machte. Gleichzeitig entwickelte sich Jef Denyn selbst zu einem der führenden Glockenspieler seiner Zeit.

Durch seine Wurzeln in Flandern und den Niederlanden ist das Instrument Carillon auch heute noch am häufigsten in dieser Region anzutreffen. Nach dem 2. Weltkrieg erfuhr das Carillon aber auch Verbreitung und Popularität in anderen Ländern, v.a. in USA, Frankreich, Dänemark, aber auch Skandinavien, Osteuropa und nicht zuletzt in Deutschland.

Das erste Carillon moderner Bauart in Deutschland wurde 1957 in Kassel errichtet. In den Folgejahren entstanden weitere Instrumente in Köln, Frankfurt, Bonn und Hannover. Gleichzeitig fanden sich zu dieser Zeit die ersten Spieler (= Carillonneure), die begannen, das Instrument auf einem höheren Niveau zu erlernen. 1980 wurde hierzulande der erste Verein zur Pflege und Förderung der Carillon-Kultur, die Deutsche Glockenspielvereinigung, gegründet. Die 80er- und 90er-Jahre erlebten einen kleinen Boom in der Entwicklung der Kultur. Inzwischen ist die Anzahl der Instrumente in Deutschland auf 42 angewachsen (zum Vergleich Niederlande: ca. 185 Instrumente). Inzwischen hat sich in Mitteleuropa eine reiche Carillon-Kultur entwickelt. In Belgien und den Niederlanden werden die Instrumente i.d.R. einmal wöchentlich bespielt. Daneben finden eine Vielzahl von Carillon-Festivals sowie an international ausgeschriebenen Wettbewerben statt. Feierliche offizielle Anlässe werden in Belgien und den Niederlanden meistens von Carillon-Konzerten begleitet.

Deutschland kann in dieser Reichhaltigkeit noch nicht mithalten. Aber immerhin werden mittlerweile die meisten deutschen Instrumente durch Carillonneure vor Ort regelmäßig konzertant bespielt. Einige Städte wie Aschaffenburg, Kiel, Kassel oder Goslar-Hahnenklee konnten inzwischen Festivals und Konzertreihen mit Beteiligung von internationalen Top-Carillonneuren etablieren.

In allerjüngster Zeit erhielt das Carillon einen neuerlichen Popularitätsschub. Zum einen ist seit einigen Jahren ein transportables Carillon fester Bestandteil der Show von Andre Rieu, so dass Carillon-Musik nun auch durch das Medium Fernsehen in der ganzen Welt bekannt gemacht wird. Zum anderen drehte sich die populäre Filmkomödie "Willkommen bei den Sch'tis" u.a. um ein Carillon, so dass Carillonneure neuerdings immer seltener erklären müssen, mit welchem Instrument sie sich da beschäftigen.

Ein ebenso wichtiges wie schwieriges Thema stellt die Ausbildung dar. An Universitäten und Musikhochschulen genießt das Carillon traditionell wenig Aufmerksamkeit. Universitäten, an denen das Carillon-Spiel erlernt werden kann, existieren derzeit nur in den USA. In Europa gibt es nur einige wenige Hochschulen, die theoretische Kenntnisse zum Thema Carillon vermitteln.

Daher haben sich in Belgien, den Niederlanden und Dänemark einige Privatschulen etabliert, die in mehrjähriger Ausbildung zu einem Abschluss mit Diplom führen. In Deutschland gibt es dagegen noch keine derartigen Einrichtungen. Hier bietet sich derzeit nur die Möglichkeit des Privatunterrichts bei einem der erfahrenen Carillonneure. Seit einigen Jahren bestehen zwar auch hierzulande Bestrebungen, einen professionellen Ausbildungsstandard zu schaffen, was sich aber aufgrund der noch zu geringen Popularität des Instruments und der großen Distanzen zwischen den einzelnen Carillons als schwierig erweist.